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Bernhard Schlink: Das späte Leben - 15.08.2024
„Nur die Welt kam ihm abhanden. … Aber vielleicht kommt nicht die Welt mir abhanden, dachte er,
sondern ich bin es, der sich von der Welt verabschiedet.“
Mit der Gefasstheit des gebildeten und lebensklugen Mannes möchte Martin nach der Krebsdiagnose seinen letzten Lebensweg gehen, seine letzten Lebenswochen mit gebührendem Anstand und all seiner Liebe der jungen Ehefrau und dem sechsjährigen Sohn David widmen. Was gilt es nun für beide noch zu richten, was kann er seinem kleinen Sohn mitgeben?
Bernhard Schlink lässt uns in „Das späte Leben“ an der Seite des Sechsundsiebzigjährigen miterleben, was es bedeutet, bewusst Abschied nehmen zu müssen, das Lebensende in seiner Unabwendbarkeit gestalten zu müssen: Soll ich meinem Kind eine Videobotschaft hinterlassen oder einen Brief, um weiterhin Lebenshilfe zu bieten und präsent zu bleiben? Soll ich den Sohn noch Praktisches lehren, vielleicht einen Staudamm zu bauen, einen Komposthaufen anzulegen oder Liebeskummer zu bekämpfen? Martin und der einfühlsame David erleben eine letzte intensive Zeit miteinander; die immer stärker werdende Erschöpfung des Vaters erhält die kindgerechte Bezeichnung „müdekrank“.
Angst vor dem Tod, vor dem Totsein, vor dem Nichts, weist Martin weit von sich eingedenk des
stoischen Grundsatzes „Das Nichts ist nichts – was gab es denn da zu erschrecken?“
Vielmehr quält ihn der Gedanke, nicht weiter am eigenen Leben teilhaben zu können, es mit dem Tod nicht mehr erleben zu können.
Gleichzeitig sieht er aber sehr klar mit Blick auf die Abfolge der einzelnen Lebensabschnitte:
„…schließlich [folgt] das Alter. Was soll denn noch kommen? Noch mehr und noch mehr Alter?“
Das Leben hat sich erfüllt mit dem Alter.
Und wir stehen ganz nah dabei, ehrfürchtig vor der Besonnenheit des ehemaligen
Hochschulprofessors, und wägen diese existentiellen Themen notwendigerweise für uns selbst ab.
Was täte ich in dieser Situation?
Nun setzt Schlink allerdings mit der Figur der pragmatischen Ehefrau Ulla, die inmitten ihres Lebens steht und eine jüngere Generation vertritt, einen Kontrapunkt zu dieser Dialektik Martins, die doch bereits allumfassend scheint: Sie entdeckt in der großen Sorge Martins um seine kleine Familie, in seinem Aktionismus für Sohn und Frau, den tiefen Wunsch, sich unsterblich zu machen, das Leben von David und Ulla auch nach seinem Tod mitzugestalten zu können. Trotz aller Zuneigung zu ihrem Mann und dem Wunsch, ihm zu helfen, verlangt sie von Martin loszulassen, beide, Frau und Sohn, sich selbst in ihrem Leben finden zu lassen.
Und ohne vorgreifen zu wollen, liegt in dieser Idee der Schlüssel für ein versöhnliches Ende: Auch
dem natürlichen Ablauf der Dinge ihren Raum zu lassen!
Bernhard Schlink schreibt in seinem ihm eigenen wunderschön klaren und unprätentiösen Stil einen exemplarischen Roman über den bewussten Umgang mit dem Leben und dem Lebensende. Es ist ein Roman, der unter die Haut geht, der an eigene Ängste rührt, uns aber auch die Poesie des späten Lebens spüren lässt: Die Liebe ist es am Ende, in all ihren Spielarten, die uns versöhnt mit der Welt aus diesem Leben gehen lässt.
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